Frieden mit dem Golan

Umstritten zwischen Israel und Syrien

von Harald Schrapers

Einen prächtigen Ausblick auf den See Genezareth haben wir im Speisesaal des Kibbuz Kfar Haruv. Ein Vertreter der örtlichen Arbeitspartei-Jugend erklärt uns engagiert, wie die Kibbuzniks in ihrem freiheitlich-kommunistischen Dorf leben. Landwirtschaft spiele eine immer geringere Rolle. Eine kleine Fabrik sorgt für den größten Teil der Einkünfte. Für die Zukunft planen sie Aktivitäten im Tourismusbereich. In Kürze solle eine Ausflugslokal für müde Wandererinnen und Wanderer, die vom See heraufkommen, erbaut werden. Und die Pläne für ein komplettes Hotel würden schon in der Schublade liegen.

Kfar Haruv liegt auf den Golanhöhen, auf syrischem Gebiet. Von hier aus, 700 Meter über Galiläa gelegen, haben syrische Soldaten bis 1967 regelmäßig die unten liegenden Ortschaften beschossen. 1500 Menschen sind dabei ums Leben gekommen. Die Kibbuzniks hier scheinen ihre Zukunftspläne ungeeindruckt von der Diskussion über eine Rückgabe des Golan an Syrien zu schmieden.

Die Genossen von der Arbeitspartei-Jugend wechseln das Thema. Kvar Haruv sei 1973 auf den Resten eines syrischen Miltärlagers errichtet worden. Ungefragt wird umgehend erklärt, warum auch im Zeitalter weitreichender Raketen der Golan militärstrategisch für Israel unverzichtbar sei. Wer ein Land besetzten und kontrollieren wolle, müsse mit Panzern und Soldaten kommen. Und die könne nur stoppen, wer den Golan kontrolliere.

Wir werden von einem anderen Kibbuznik, einem Aktivisten der Bewegung „Frieden mit dem Golan“ abgeholt. Bevor wir zu seinem Kibbuz, Merom Golan, direkt an der Waffenstillstandslinie, fahren, halten wir in Kazrin, dem Hauptort des Golan. Ein Museum soll dort die lange jüdische Geschichte auf den Golanhöhen belegen. Eine in ihrer Perfektion äußerst beeindruckende Multimediashow zeichnet die Geschichte von des Golanberges Gamla nach. Wir werden an Massada, dem jüdischen Nationalsymbol im Süden des Landes, erinnert. Auch in Gamla wiedersetzten sich Juden einer langen römischen Belagerung. Am Ende, geschlagen, verübten sie im Jahr 66 kollektiven Selbstmord. So überlieferte der jüdisch-römische Geschichtsschreiber Josephus Flavius die Vergangenheit.

Ausgrabungen sollen – wie überall in Israel – dem noch jungen Staat auch eine langwährende historische Legitimation geben. Allerdings kann der Golan in keinster Weise die religiöse Bedeutung für die Juden haben wie etwa Ost-Jerusalem oder Hebron in der Westbank. Synagogen können nicht nur auf dem Golan ausgegraben werden, sondern in ganz Syrien. Und daß auf Gamla auch eine byzantinisch-christliche Kirche und ein Kloster gefunden wurde, wird in Kazrin verschwiegen.

Drusen – Minderheit zwischen den Fronten

In einem der vier drusischen Dörfer am Fuße des Hermon-Massivs treffen wir den örtlichen Gewerkschaftsvorsitzenden, den Sekretär der Histradrut-Arbeitskammer. Er ist einer vom mehr als 15.000 auf dem Golan lebenden syrischen Drusen. Der Gewerkschafter – er sitzt vor der israelischen Fahne – beteuert seine Loyalität gegenüber Israel. Proteste der Drusen gegen die israelische Annektion begründet er damit, daß viele Familien durch die Waffenstillstandslinie getrennt seien. Die Proteste würden gegenüber den Medien inszeniert, um Repressionen des syrischen Regimes gegenüber den drusischen Familienangehörigen auf der anderen Seite zu verhindern.

Schanan Schakib, der Vorsitzende des drusischen Sektors der Arbeitspartei-Jugend – wir besuchen ihn in einem kleinen Dorf ganz im Norden Israels –, äußert Verständnis für die Haltung der Drusen auf dem Golan. Drusen leben im Libanon, in Syrien und in Israel. Uri Avnery, Literat und Publizist, vertritt gegenüber uns die Meinung, daß sie nur im Libanon Drusen sein könnten. In Israel und in Syrien seien sie überangepaßt. In Syrien würden sie sich Araber drusischen Glaubens nennen. Der drusischen Gewerkschafter vom Golan behauptet dagegen: „Mit den Arabern haben wir nur die Sprache gemeinsam.“ Uri Avnery meint, daß die Drusen auf dem Golan sich mehrheitlich als Syrer verständen, nur einige wenige Familien hätten israelischen Ausweispapiere.

Die Palästinenser fürchten die israelischen Drusen. Im Gegensatz zu den palästinensischen Israelis gehen die Drusen zu den israelischen Armee. Sie gelten als besonders rücksichtlos bei Einsätzen gegen die Intifada. Schanan Schakib bestreitet dies. Er verweist auf die geringe Anzahl der israelischen Drusen – insgesamt etwa 50.000.

Ideologie, Wasser und Sicherheit

Die Rückgabe der Golanhöhen an Syrien ist sehr umstritten. Überall in Israel sind Autoaufkleber und Plakate „Das Volk ist mit dem Golan“ zu sehen. Selbst in der kleinen links-sozialistischen Vereinigten Arbeiterpartei Mapam ist die Golan-Rückgabe nicht völlig unumstritten. Zwei Kibbuzim auf dem Golan sind mit Mapam verbunden. Die Mehrheit ihrer Mitglieder widersetze sich einem Rückzug, erzählt uns Jael Weiss-Brenner, die Vorsitzende der Mapam-Jugend. Die beiden Kibbuzim hätten sich jedoch bei ihrer Gründung verpflichtet, einem Friedensschluß nicht im Wege zu stehen.

Gerne wird von Israel darauf verwiesen, daß der Golan nur ein halbes Prozent des syrischen Staatsgebietes ausmachen würde. Die Grenzen Syriens sind erst nach dem Ersten Weltkrieg von den Kolonialmächten gezogen worden. Diese Argumente überzeugen allerdings kaum mehr, als zwei Jahrtausende alte Synagogenfunde. Interessanter ist für die meisten Israelis dagegen die Tatsache, daß vom Golan aus die Jordan-Zuflüsse kontrolliert werden können, und damit ein Schlüssel zur sicheren Trinkwasserversorgung dort liegt.

Im Zentrum der israelischen Diskussion stehen jedoch allein militärische Sicherheitsaspekte. Der Blick von der Golankante hinunter auf große Teile des israelischen Nordens ist beeindruckend. Im Raketen­zeit­alter ist die militärische Relevanz dieses Ausblicks jedoch begrenzt. Im Kibbuz Merom Golan verstieg man sich uns gegenüber zu der Behauptung, daß die Golan-Waffenstillstandslinie die friedlichste Grenze der Welt sei. Trotz oder gerade wegen solcher Stimmungsmache: Die Regierung und große Teile der Bevölkerung wissen, daß es für einen stabilen und langfristigen Frieden nicht beim status quo bleiben kann.

Das Regime des syrischen Präsidenten Hafis Assad hat durchaus ein Interesse, Prestige und Stabilität durch die Rückerlangung des Golans zu erreichen. Dazu wird es einer international kontrollierten Entmilitarisierung der Golanhöhen zustimmen. Israel wird im Gegenzug die syrische Hoheit über den Golan anerkennen. Wo genau die Grenzlinien liegen werden, ist noch nicht absehbar. Israel wird einem sofortigen Totalrückzug keinesfalls zustimmen.

Ein Hauptproblem ist die Instabilität und Unberechenbarkeit des Damaszener Regimes. Assad hat mit seinem Schwenk vom alten Parteigänger Moskaus zum Waffenbruder Washingtons im Golfkrieg zwar einiges politisches Geschick bewiesen. Die interne Stabilität der Herrschaft beruht jedoch auf einer massiven Unterdrückung von Menschenrechten. Ein Regime, das darauf gebaut ist, kann nur sehr bedingt ein langfristiger Garant eines Friedensprozesses sein.

Von Seiten der israelischen Regierung gibt es den Willen zu Verhandlungen mit Syrien, wie uns Ephraim Zneh von der Arbeitspartei, Vorsitzender des Knesset-Verteidigungsausschusses, bestätigt. Mehr als skeptisch äußert er sich zu unserer Frage, ob mit einem solch instabilen Regime, wie dem in Damaskus, überhaupt ein dauerhafter Frieden vereinbart werden könne. Seine persönliche Meinung ist „nein“.

aus dem niederrhein magazin 6/93