Schimanski läßt Mercator alt aussehen

Jusos verhindern heimliche Hochschul-Umbennung

von Harald Schrapers

Bundesweit Furore macht die Juso-Hochschulgruppe Duisburg mit ihrem Vorschlag, die Duisburger Hochschule nach Horst Schimanski zu benennen. Eine knappe Pressemitteilung löste eine der größten Juso-Pressekampagnen der letzten Jahre aus.

Die Duisburger Hochschule ist erst 1972 gegründet worden, und zwar als Gesamthochschule. Diese Bezeichnung aus der sozialdemokratischen Bildungsreform-Ära erschien bereits zu Beginn der 80er Jahre manchen als nicht mehr zeitgemäß. Seitdem wird von Universität Duisburg gesprochen.

Seitdem plant die Duisburger Hochschulleitung zielstrebig auch den zweiten Schritt in der Umbenennung der Hochschule zu gehen, der nicht nur den ungeliebten Reformgeruch, sondern auch den nicht weniger ehrenrührigen Ruhrgebietsmief abschütteln soll. Der Name Gerhard Mercator gilt in Duisburg – diese Stadt hat oft ähnliche Profilneurosen wie die Hochschule – als Symbol für das goldene vorindustrielle Zeitalter.

Ein Name, der in Duisburg bereits ein Reiseunternehmen, eine Tankstelle, ein Transportunternehmen, eine Gießerei, ein Drogerie, einen Stahlhandel, einen Verlag, eine Wirtschaftsprüfungsgesellschaft, ein Inkasso-Büro, die Stadthalle sowie diverse Pommesbuden ziert, kann für eine Hochschule nicht falsch sein.

Gerhard Mercator, der eigentlich schlicht Kremer hieß, stammte aus Flandern und hatte an der Universität Löwen studiert. Mehr oder weniger bekannt geworden ist der Kartograph durch seine Mercatorprojektion, ein Weltkartenentwurf, der damals als bahnbrechend und heute als reichlich europazentriert gilt. Gestorben ist Gerhardus Mercator 1594 in Duisburg.

Mercator soll die Hochschulleitung bei dem Versuch unterstützen, an der Hochschule endlich die Tradition der alten Duisburger Universität zu verankern. Diese Klevesche Landesuniversität wurde 1655 gegründet, jedoch 1818 zugunsten der Bonner Universität wieder geschlossen. Die fehlenden 154 Jahre bis zur Gründung der Gesamthochschule 1972 machen die Aufrechterhaltung der altehrwürdigen Tradition naturgemäß schwierig.

Alternativer Namensvorschlag eröffnet Diskussionen

Jahrelang zerbrachen sich die StudierendenvertreterInnen den Kopf darüber, womit gekontert werden könnte, wenn die langfristig vorbereitete Umbenennung konkret werden würde. Sicherlich hat die Duisburger Hochschule andere Probleme, als die eines repräsentativen Namens. Dieses Argument würde jedoch im Ernstfall kaum jemanden interessieren, denn gerade in Zeiten knapper Kassen ist symbolische Politik besonders beliebt. Und der alternative Namensvorschlag Rosa Luxemburg klingt zwar ausgezeichnet, nur ist ihre Beziehung zu Duisburg nicht überliefert.

Kurz vor dem 20jährigem Jubiläum der Hochschule, der offensichtlich als Umbenennungstermin anvisiert war, kam der Juso-Hochschulgruppe (HSG) dann der rettende Einfall: Horst Schimanski. Mit der Ausstrahlung der letzten Tatort-Folge Ende letzten Jahres weilt Schimanski nicht mehr unter dem Gegenwärtigen und ist damit grundsätzlich als Namenspatron geeignet.

Ursprünglich hatte die Juso-HSG die Idee, der Presse den Schimanski-Vorschlag zum 1. April mitzuteilen. Dies war aber zu kurzfristig, um realisiert zu werden. Die Presseerklärung wurde um zwei Monate verschoben. „Horst Schimanski hat die Schönheiten, Lebensgewohnheiten, Traditionen sowie die Ruhrgebietskultur den Zuschauern im ganzen Land auf sympathische Art nähergebracht“, argumentierten Stefan Stader, Axel Stein und Stefan Verhöfen im Namen der Jusos. „Aber auch die sozialen Probleme und Brennpunkte dieser Stadt wurden durch ihn glaubwürdig vermittelt.“

Die Duisburger Lokalmedien waren von Radio Duisburg bis zur Rheinischen Post (RP) von der Idee begeistert. Nur die Westdeutsche Allgemeine (WAZ) berichtete lieber über die mäßig spannende Entstehungsgeschichte des Mercator-Brunnens vorm Rathaus.

Während die Neue Ruhr Zeitung (NRZ) die Juso-HSG dafür lobte, daß sie „gegen Profilneurosen und den Duisburger Mercator-Wahn“ zu Felde ziehe, konnten wir in der Bild die erste Reaktion des Rektorats lesen: „Das soll wohl ein schlechte Scherz sein. Da könnten wir ja auch Filmfiguren wie Asterix und Obelix nehmen.“

Schon einen Tag später verbreitete Bild eine ermutigende Umfrage. Taxifahrerin Margot Hertel (45) fand den Juso-Vorschlag lustig und Rentnerin Henny Mark (77) meinte, daß Schimanski zu Duisburg passe und moderner sei als Mercator. Dagegen sagte Oberbürgermeister Jupp Krings, daß die Hochschule einen seriösen Namen bekommen müsse. Er sei für Gerhard Mercator.

Johannes Rau, so wußte Bild andererseits zu berichten, unterstütze den Vorschlag der Studierenden. Tatsächlich hatte Rau den Duisburger Hochschulleiter Gernot Born, der soeben zum Chef der Landesrektorenkonferenz gewählt worden war – trotz (oder wegen?) Schimanski –, auf einem Empfang in der Bonner NRW-Landesvertretung bereits als Rektor der „Schimmi-Uni“ begrüßt. Dies fand dieser aber überhaupt nicht witzig.

Durch diverse Radiostationen von Antenne Niedersachsen bis zum Sender Freies Berlin fand die Nachricht von der Horst-Schimanski-Hochschule langsam eine bundesweite Verbreitung. Die NRZ ermutigte die Juso-HSG derweil mit Durchhalteparolen: „Recht so Jungs! Dranbleiben!“

Neider greifen Jusos an

Wenig begeistert über die plötzliche Publizität der Jusos waren die konkurrierenden Studierendengruppen. AStA-Fachschaftsreferent Stephan Haas von der Alternativen Fachschaftsliste bezichtigte die Jusos gegenüber der Presse sogar des Ideenklaus und habe – laut NRZ – selbst Urheberrechte auf den grandiosen Namens-Einfall erhoben. „Im AStA habe er es einst verkündet und müsse nun mit ansehen, daß die Jusos Lorbeeren und Lacher dafür ernten. Ein ,U-Boot‘ in den Reihen der jungen Roten habe es ihm gesteckt, daß Juso-Chef Axel Stein den Vorschlag als eigenes Gedankengewächs bei einer konspirativen Sitzung im ,Finkenkrug‘ den Seinigen unterbreitete.“

Dieser gemeine Vorwurf lohnte keine ernsthafte Stellungnahme. Die wäre dagegen beinahe fällig gewesen, als der christlich-demokratische RCDS den Jusos intellektuellen Tiefflug vorwarf. Da jedoch, laut einem Zeitungsbericht, „den Nachwuchskonservativen das Malheur passierte, daß sie das Wort intellektuell jedesmal falsch schrieben, nämlich ,interlektuell‘‘‘, meinte die Juso-HSG zusammen mit der RP: „Schwamm drüber.“

Endlich war auch das Rektorat mit einer offiziellen Stellungnahme an die Öffentlichkeit getreten. „Bei der Namensgebung kennt die Uni keinen Spaß“ titelte die RP und bemerkte: „Man hat den Eindruck, daß hier Gereiztheit im Spiel ist.“ In der offiziös-bierernsten Erklärung hieß es, daß sich die Hochschulgremien nicht ernsthaft mit dem als Gag gedachtem Vorschlag befassen werden. Worauf die NRZ bemerkte: „Dann drängt sich aber doch die Frage auf, warum sie das Ganze zumindest so ernst nehmen, daß sie meinen, in einem Fax mit seitenlanger Erklärung über die Namensgebungs-Prozedur den Medien mitteilen zu müssen, daß sie und nur sie entscheiden werden, wie das ,Kind‘ heißen soll.“

Provinz-Farce in Duisburg

Die RP fragte sich, ob die Jusos – ohne es zu wissen – auf eine sich anbahnende Provinz-Farce gestoßen sind. Die archäologische und historische Ausstellung der Stadt, die auch eine Mercator-Sammlung umfaßt, muß sich umständlich „Kultur- und Stadthistorisches Museum Duisburg“ nennen, weil ihr bei ihrer Einrichtung der Name Mercator mit Blick auf die Hochschule verweigert wurde. RP: „War das alles für die Katz?“

Die Mercator-treue WAZ leitete inzwischen die ersten Rückzugsgefechte ein. Ausgerechnet in der samstäglichen Glosse machte sie den Jusos den unheimlich humorvollen Vorschlag, doch lieber einen Fanclub zu gründen.

Die Chancen des Gerhard Mercator, der in Duisburg als Lateinschullehrer wirkte, sanken immer mehr. „Die bis zum Anno Tobak regredierende Namensfindungs-Idee gilt als genialer Trick, um Duisburgs schandbare Epoche, die Industrialisierung mit ihren Stahl-Tycoons, vergessen zu machen“, schrieb die Berliner tageszeitung (taz). „In der strukturgewandelten Kommune soll mit Hilfe des niederländischen Paukers das Mittelalter als goldenes Zeitalter der Stadtentwicklung ausgewalzt werden.“

Drehverbot fürs Fernsehen

Nach diesem ersten Bericht in einer bundesweit erscheinenden Zeitung kam auch das Fernsehen nicht mehr um das Thema herum. Und prompt erteilte der Verwaltungschef der Hochschule, Kanzler Rudolf Baumanns, dem WDR Drehverbot. Deren Team mußte sich dann damit begnügen, Interviews und Außenaufnahmen aus der Bürgersteigperspektive zu filmen.

RTL plus fragte erst gar nicht nach einer Drehgenehmigung und inszenierte eine Namenstaufe als „Wahnsinnsreportage“ fürs Frühstücksfernsehen, in dem ein Anrufer den Beitrag als Ente bezeichnete und damit die ausgesetzten 500 DM für einen richtigen Tip verpaßte. Die 500 DM wanderten in den Jackpot.

Im ARD-Frühstücksfernsehen und in der Aktuellen Stunde griff endlich auch Horst Schimanski persönlich (der als Kunstfigur keinesfalls verwechselt werden darf mit dem Berliner Schauspieler George) in die Auseinandersetzung ein: „Entweder wir steigen ganz groß ein oder ganz groß aus.“ Den Vorwurf „Was spielen Sie hier eigentlich, den proletarischen Helden?“ konterte Schimanski gewohnt gelassen: „Oh Vorsicht, nichts gegen das Proletariat, das ist wieder stark im Kommen.“

„Für die Jungsozialisten bleibt er der Favorit“, schloß die ARD-Morgenmagazin-Redakteurin den Beitrag. „Und wenn es dann doch nicht klappen sollte mit der Schimanski-Universität in Duisburg, so könnte man doch wenigstens einen Schornstein nach ihm benennen.“

Zwei Erfolge: Gesamthochschule statt Mercator

Die Schimanski-Kampagne der Juso-HSG war eigentlich gar nicht als solche geplant. Eine einzige Presseerklärung erwies sich als Selbstläufer. Selbst das scheinbare Kampagnenmotto „Ich bin Studdi anne Schimmi-Uni“ war eine Idee der NRZ.

Zwei große Erfolge hatte die Kampagne jedoch trotzdem. Zum einen ist der lange geschmähte Begriff Gesamthochschule wieder in aller Munde. Selbstverständlich stand in der Juso-Presseerklärung kein Wort von einer Universität, folglich schrieb sogar die christlich-konservative Wochenzeitung Rheinischer Merkur von der Gesamthochschule Duisburg, was sie sonst – weil dies als sozialistisches Teufelszeug gilt – wohl strikt vermieden hätte.

Zum anderen hat die Juso-HSG die Umbenennung in Gerhard Mercator offensichtlich vorerst verhindert. Denn plötzlich ist deutlich geworden, wie lächerlich es ist, eine 20jährige Reformhochschule im Ruhrgebiet nach einem 480jährigem Kartographen benennen zu wollen.

aus dem niederrhein magazin 5/92