Zu wenig europäisch

Die Sozialdemokratische Partei Europas und die Jusos

von Harald Schrapers

Das Stadium bloßer Kontakte zwischen Einzelparteien haben die sozialistischen und sozialdemokratischen Parteien Westeuropas längst verlassen. Schon in den 70er Jahren wurde der Bund sozialdemokratischer Parteien Europas gegründet, der die Zusammenarbeit auf die Ebene regelmäßiger Kooperation gehoben hat. Zudem gab es lange zuvor im Rahmen der Sozialistischen Internationalen (SI), die von den westeuropäischen Parteien dominiert wurde, ein kontinuierliches Zusammentreffen.

Mit zunehmender Integration der EU-Mitgliedsstaaten ist eine Kooperation der Parteien nicht mehr ausreichend. Nun müssen auch hier Integrationssschritte unternommen werden. Mit der Gründung der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) im Jahr 1992 wurde ein Rahmen geschaffen, der vom Namen her eine einheitliche integrierte Partei bedeuten könnte. Da die Europäische Volkspartei (EVP), der christdemokratische Parteienzusammenschluss, den Anspruch einer einheitlichen Partei schon immer im Namen führte, ohne dass dies tiefgreifende praktische Konsequenzen hätte, ist der Name zunächst nur Symbolik.

Tatsache ist jedoch, dass die EVP eine fortgeschrittenere Organisationsform besitzt, als die SPE. So gibt es bei der EVP die Möglichkeit der Wahl der Parteispitze. Der SPE-Vorsitzende (Rudolf Scharping) und seine StellvertreterInnen werden dagegen auf dem Kongress durch Klatschen „gewählt“. Denn die Grundlage dieses „Wahlgangs“ ist ein laut den Statuten einstimmig vom Vorstand vorzulegender Vorschlag. Der Vorstand der EVP wird durch gewählte Mitglieder zusammengesetzt, während der SPE-Vorstand aus delegierten RepräsentantInnen der Mitgliedsparteien besteht (plus VertreterInnen der Europaparlamentsfraktion, der Fraktion im Ausschuss der Regionen, der JungsozialistInnen und der Frauen).

Voraussetzung einer Mitgliedschaft in der EVP war eine proeuropäische Ausrichtung der jeweiligen Partei. Dies machte es den Christdemokraten grundsätzlich einfacher, ihre Organisation weiterzuentwickeln. Dies hat sich nun zumindest für die Arbeit der Europaparlamentsfraktion der EVP geändert. Mit der italienischen Forza Italia und den bei der jüngsten Wahl erheblichen gestärkten europafeindlichen Conservatives aus Großbritannien sind massive Konflikte vorprogrammiert.

Mitglieder der SPE waren mit der britischen Labour Party und der dänischen Socialdemokratiet von vornherein auch Parteien, die eine europaskeptischen Kurs fuhren. Unter anderem deshalb gilt im Unterschied zur EVP noch heute ein grundsätzliches Einstimmigkeitsprinzip in den SPE-Gremien, auch in der Konferenz der Parteiführer, die längst zum wichtigsten Gremium geworden ist. Einzig in Fragen, die auch im Ministerrat mit Mehrheit entschieden werden können, gibt es die Möglichkeit, mit der Mehrheit von 75 Prozent der Stimmen zu entscheiden. Einer Mitgliedspartei, die dann zur Minderheit gehört, wird zugestanden, dass sie sich durch den gefassten Beschluss „nicht gebunden fühlt“.

Die SPE-Statuten finden ihren Widerhall in der Praxis. Substanzielle inhaltliche Vorstöße zur Europapolitik gibt es aus der SPE heraus keine. Bestenfalls bei den Regierungskonferenzen zu den Vertragsrevisionen gab es so etwas wie parteipolitisch zuordbare Vorstöße – zuletzt bei dem Beschäftigungskapitel im Amsterdamer Vertrag. Spätestens bei den Europawahlen sinkt die Bedeutung der SPE dann aber wieder auf Null, weil wohl alle Parteien die Wahl zu nationalen Zwecken verwenden. Und gleichzeitig geht die Wahlbeteiligung europaweit stetig in den Keller.

Durch die Statutenbestimmungen – und ihre Anwendung in der Praxis – wird deutlich, dass noch lange nicht von einer Integration der sozialdemokratischen Parteipolitik gesprochen werden kann. Die SPE hängt der europäischen Integration und der Demokratisierung des Gesetzgebungsprozesses in der EU um Längen hinterher. Für eine wesentliche Aufgabe einer Partei, den politischen Prozess nach vorne treiben und der politischen Entwicklung einen Schritt voraus zu sein, ist die SPE in ihrer Verfassung nicht gerüstet.

Integrationspolitik auf europäischer Ebene bedeutet, dass nationale Kompetenzen abgegeben werden. Dazu ist kaum eine der Mitgliedsparteien bereit. Auch die SPD nicht.

Den Versuch, die SPE als neue Ebene im Parteiaufbau anzuerkennen, gibt es kaum. Die Bestimmung der Delegierten zum SPE-Kongress erfolgt ohne eine anderen Delegiertenwahlen ähnliches Verfahren. Sondern der Parteivorstand nickt eine zuvor vorbereitete Liste kommentarlos ab – und wenn eine der Delegierten ihr Mandat nicht wahrnehmen möchte, wird „unbürokratisch“ auf dem kurzen Dienstweg für Ersatz gesorgt.

Dass die nationalen Parteien ein größeres Interesse an der Stärkung der SPE bekommen werden, erscheint zur Zeit unwahrscheinlich. Denn solche Ansprüche formulieren zumeist Parteien, die auf der nationalen Ebene in der Opposition sind oder bestenfalls den Juniorpartner einer Regierung stellen. Da zu Zeit aber in 11 der 15 EU-Staaten ein Sozialdemokrat die Regierung führt, würden die sich von einer gestärkten SPE eher eingeschränkt fühlen.

Ein Interesse an der Aufwertung der SPE sollte die Europaparlamentsfraktion haben. Die Fraktion ist das einzige regelmäßig und mit recht großer Effektivität arbeitende SPE-Gremium. Die Gefahr der Einschränkung des Einflusses dieser Fraktion durch die Kontrolle seitens der Partei besteht angesichts deren eklatanter Schwäche nicht. Allerdings würde eine Stärkung der SPE der sozialdemokratischen Politik auf der Europaebene – und damit auch im Parlament – größere Bedeutung verschaffen. Zudem könnte eine Partei wichtige Hilfestellung dabei leisten, politische Vorgänge in Brüssel bzw. Straßburg der Parteibasis zu vermitteln.

Die Europäischen JungsozialistInnen

Die Europäischen JungsozialistInnen – European Community Organisation of Socialist Youth (Ecosy – European Young Socialists) – sind wie die SPE 1992 in den Niederlanden gegründet worden. Zuvor ist die EU-Politik im Rahmen bzw. am Rande der Sozialistischen Jugend-Internationalen – International Union of Socialist Youth (Iusy) – koordiniert worden. Iusy hatte damals Sitz und Stimme im Jugendforum der EU, so wie sie heute immer noch im Europäischen Jugendforum vertreten sind.

Die Ecosy-Gründung war sowohl in Europa als auch innerhalb Deutschlands umstritten. Dabei ging es um die Frage, ob eine allein die EU umfassende Organisation angestrebt wird oder ob das Konzept eines gesamteuropäischen Zusammenschlusses bevorzugt würde. Letzteres – genannt European Socialist Youth (Esy) – wurde insbesondere von der schwedischen SSU und der österreichischen SJ gefordert, die damals jedoch beide nicht einem EU-Mitgliedsstaat angehörten.

Innerhalb der deutschen Jusos wurde letztere Position insbesondere von traditionalistisch-marxistischen Bezirken unterstützt. Sie sahen in der Gründung von Ecosy eine abzulehnende Westeuropa-Zentrierung, die zu Lasten der osteuropäischen Organisationen ginge. Die Befürworter einer Ecosy-Gründung, zumeist aus den undogmatisch-reformsozialistischen Bezirken, waren dagegen der Meinung, dass es keinen Widerspruch zwischen einer gesamteuropäischen und einer EU-Organisationen gäbe, da beide unterschiedliche Aufgaben hätten. Die wichtigste Aufgabe wäre dabei die EU-Innenpolitik, die sinnvoll nur von einem Zusammenschluss übernommen werden könnte, der sich auf die EU beschränkt.

Am Ende fand die Gründung von Ecosy im Bundesausschuss der Jusos doch eine breite Mehrheit, was wohl auch damit zusammenhing, dass mit Reinhold Rünker ein Vertreter der traditionalistischen Bezirke in den Vorstand der Europäischen JungsozialistInnen entsandt wurde.

Esy wurde ebenfalls gegründet, blieb allerdings organisatorisch schwach und wurde später in European Committee umbenannt und war damit ein Kontinentalausschuss im Rahmen der Iusy. Ecosy wurde dagegen vergleichsweise organisationsstark mit einem hauptamtlichen Generalsekretär, einen Büro im Europäischen Parlament und finanzieller Unterstützung von Seiten der SPE sowie der SPE-Fraktion.

Eine integrierte Organisation ist ein Ziel der großen Mehrheit in den Ecosy-Gremien. Es wurden in der kurzen Geschichte von Ecosy bereits einige Schritte in diese Richtung unternommen.

Bei der Gründung der Europäischen JungsozialistInnen wurde auf die Wahl eines Vorsitzenden noch verzichtet. Vorsitzender war jeweils das Ecosy-Vorstandsmitglied aus dem Land, das die EU-Präsidentschaft innehatte. Auf dem dritten Ecosy-Kongress 1997 in Straßburg wurde das Statut geändert und der Österreicher Andreas Schieder wurde in geheimer Wahl erster gewählter Vorsitzender. Auch seine fünf StellvertreterInnen wurden gewählt, hierbei konnte aus sieben KandidatInnen ausgewählt wurden. Eine sechste stellvertretende Vorsitzende rotiert mit der EU-Präsidentschaft.

Die Zusammensetzung des Ecosy-Vorstands und des Kongresses genügt dagegen nicht den Anforderungen an eine integrierte Organisation. Im Vorstand hat jedes Land zwei Stimmen, im Kongress hat jedes Land 12 Stimmen. Bei der Zusammensetzung des Kongresses ist sogar die SPE fortschrittlicher, im SPE-Kongress sind die Delegationstärken nach Größe des Landes und dem Stimmergebniss bei der Europawahl gewichtet. Hier werden die Europäischen JungsozialistInnen ihre Struktur noch reformieren müssen.

Die Zusammensetzung des Vorstandes mit RepräsentantInnen aller Mitgliedsorganisation ist dagegen vertretbar, wenn in Zukunft der Vorsitzende (seit 1999 der Franzose Hugues Nancy), seine StellvertreterInnen und der Generalsekretär als gewähltes Präsidium herausgehobenen Einfluss gewinnen.

In inhaltlichen Fragen wird bei den Europäischen JungsozialistInnen grundsätzlich nach dem Mehrheitsprinzip verfahren. Beschlüsse zur EU-Politik sind dann für alle Mitgliedsorganisationen bindend, wenn sie auf dem Kongress eine Zwei-Drittel-Mehrheit gefunden haben. In der Praxis werden die Kongressentscheidungen jedoch oft nur mit einfacher Mehrheit gefällt – was angesichts der unabgestuften Delegationsgrößen recht bedenklich ist. Da zur EU-Politik als Antrag einzig ein sehr umfangreiches, alle zwei Jahre weiterzuentwickelndes, position paper vorliegt, fallen die wichtigen Einzelentscheidungen mit oft nur knappen Mehrheiten, denn für Änderungsanträge gilt kein besonderes Quorum.

Allein durch das Mehrheitsprinzip, das auch im Vorstand angewendet wird, sind die Entscheidungen der Europäischen JungsozialistInnen deutlich zugespitzter als die der SPE. Im Durchschnitt sind die Jugendorganisationen aber auch progressiver und pro-europäischer eingestellt, als die jeweilige Mutterpartei. Allerdings definieren sich nur die deutschen Jusos explizit als „linke Richtungsorganisation“ innerhalb ihrer Partei, die Partnerorganisationen decken zumeist alle innerparteilichen Strömungen ab.

Sicherlich müssen die Europäischen JungsozialistInnen die Auseinandersetzung mit innenpolitischen Fragen noch weit intensiver und – in Zusammenarbeit und Auseinandersetzung mit den verschiedenen Brüsseler Institutionen – noch erfolgsorientierter werden. Doch dabei stößt Ecosy noch zu früh an die Grenzen seiner Ressourcen.

Ein wesentliches Manko ist immer noch die Kommunikation mit den Mitgliedsorganisationen. Hier sollten mit Hilfe des Internets zukünftig neue Möglichkeiten geschaffen werden. Äußerst wichtig ist das regelmäßig stattfindende Ecosy Summer Camp, mit dem circa 500 Leute aus den Mitgliedsverbänden und damit teilweise die Basis der Organisation erreicht werden kann.

Ecosy hat durchaus das Potenzial, zu einer mehr und mehr integrierten Organisation zu werden. Denn nationale Kompetenzen werden zunehmend auf die europäische Ebene verlagert. Ein Problem für die Europäischen JungsozialistInnen ist jedoch die kaum wahrnehmbare Existenz ihrer „Mutterpartei“. Denn diese wäre als Adressat, Partner oder Gegner durchaus wichtig für eine politische Jugendorganisation. Nicht nur aus diesem Gründen treten die JungsozialistInnen nachdrücklich für eine Stärkung und Demokratisierung der SPE ein.

aus dem niederrhein magazin 1/99