Schimmi hat die Schnauze voll

Eine Ära geht zuende

von Harald Schrapers

Duisburg-Ruhrort, 28. Juni 1981: Wir sehen Kriminalhauptkommissar Horst Schimanski, damals 37 Jahre alt, das erstemal bei der Ermittlung in einem Mordfall. Beim Sichten der Trotzki- und Luxemburg-Bücher des Mordopfers kommentierte er: „Lehrer wäre er damit nicht geworden.“ Die Grauen Wölfe steckten hinter dem Verbrechen.

Geboren am 2. November 1943 in Breslau wuchs Schimanski ohne Vater in Duisburg auf. Während seiner Schweißerlehre wird er in einer Straßengang zum Automaten- und Autoknacker. Dabei trifft er auf Kommissar Karl Königsberg, den späteren Kriminaloberrat. Der griff ihn auf und schickte ihn zur Polizeischule. Das Unheil nahm seinen Lauf.

Zwar war der Gerechtigkeitssinn Schimanskis kanalisiert, die scheinbar unveränderlichen Macht- und Herrschaftsstrukturen unserer gesellschaftlichen Institutionen akzeptierte er deshalb noch lange nicht. Königsberg mußte ihm Hauptkommissar Christian Thanner als Partner danebenstellen. Dieser verkörperte die „Wirklichkeit des deutschen Mannes“ (FAZ-Magazin). Er mußte Schimanski, den „Traum eines deutschen Mannes“, ständig mit einem „Mensch, Horst“ bremsen.

Auf Schimanski, so auf die Menschheit losgelassen, reagierte Bild am Sonntag prompt mit der Titelzeile „Der Ruhrpott kocht: Sind wir alle Mörder oder Trinker?“. Alle Hoffnungen auf den Titel Luftkurort Bad Duisburg mußten begraben werden. Die Neue Ruhr Zeitung forderte „Werft den Prügel-Kommissar aus dem Programm!“. Und der Leiter der Duisburger Mordkommission bestätigte: „Bei mir dürfte dieser Mann nicht mal Fahrrad-Diebstähle bearbeiten.“

Auch später noch versuchte Bild mitzuzählen. 32 mal habe Schimanski „Scheiße“ gesagt. Tatsächlich war es nur 17 mal, und daß es in der Tatort-Folge um Umweltverschmutzung ging, verschwieg das Blatt.

In zehn Jahren und 29 Filmen, davon zwei Kinoproduktionen, legte sich die Aufregung weitgehend. Duisburgs OB Jupp Krings schrieb Schimanski zum Abschied versöhnlich: „Jetzt bleibt uns nur noch der MSV, aber der ist auch erstklassig, obwohl es niemand glaubte.“ Die meisten Schrottplatz-Aufnahmen wurden eh in München gedreht, und am Ende sprachen auch immer mehr NebendarstellerInnen bayerischen Akzent.

Anfang der 90er Jahre ist auch die letzte Auflehnung der Nachkriegsgeneration gegen die Gesellschaft der väterlichen Kommissare am Ende. Der Oberbulle Jahnke, Unsymp der letzen Folge, erklärte Schimanski zum Auslaufmodell: „Dieser Mann paßt nicht mehr in unsere Zeit“.

Sohn berühmten Vaters

Götz George, sechs Jahre älter als seine Rolle, ohne dessen schauspielerische Leistung die Kunst- (und Kult-)Figur Schimanski in dieser Form nicht hätte entstehen können, paßte scheinbar bereits vor seinem Tatort-Engagement nicht mehr so recht in unsere Zeit. Seit dem Ende der 60er Jahre hatte George, der Jungstar des deutschen Nachkriegsfilms, den künstlerischen Anschluß verloren.

Idol Götz Georges ist sein Vater, der Schauspieler Heinrich George, der 1946 im Internierungslager Sachsenhausen nach einer Blinddarmoperation starb. Vor 1933 galt Heinrich George als Vertreter des progressiven Theaters. Eine seiner großen Rollen war die des Götz von Berlichingen. 1937 wurde er Staatsschauspieler und 1943 Generalintendant der Berliner Bühnen. In Jud Süß spielte 1940 den Herzog von Württemberg und im Durchhaltefilm Kolberg 1945 den Bürgermeister Nettelbeck.

Götz George wehrte alle Fragen nach der Nazivergangenheit seines idolisierten Vaters, den er in erster Linie im Nachhinein nur als Künstler kennengelernt haben kann, ab. Die Größe des Vaters, so der Spiegel, habe ihn zur eigenen Größe verpflichtet, erreichen habe er sie nie gedurft.

Kriminalmärchen zum Abschied

In der letzten Folge konnte Schimmi sich noch einmal mit einem Rundumschlag gegen das Establishment und das verbündete internationale Verbrechen mit ungezählten verkürzten, auf die Spitze getriebenen Zitaten in Szene setzen und seine Erhöhung zur Kunstfigur vollenden. Abflachende Drehbücher hatten zuletzt häufiger keine Alternative zur Selbstparodie, zur Klamotte gelassen. So gab es nach einigen köstlichen Gags in der in Zusammenarbeit mit dem ostdeutschen Fernsehfunk entstandenen Folge „Unter Brüdern“ dann wieder Proteste: „Ossis sauer auf Schimanski: Sind nicht die Deppen“ (Express). Filme, wie der vorletzte Schimanski zum Thema Kinderprostitution in seiner außerordentlich sensiblen Vorgehensweise, blieben am Ende seltene Ausnahmen.

Am Schluß war Schimmi zum Supermarktdetektiv degradiert und ihm bedeutete eine Polizeipsychologin sein Ende. Einmal durfte er noch mit einer Schale Pommes rot-weiß in einem Gourmetrestaurant Platz nehmen. ItalienerInnen machten Campingurlaub mit Blick auf Hochöfen und Industriebrachen direkt am Rheinufer. Da stand er mit seiner Jacke (Schablonski-Jacke – oder wie?), den Cowboystiefeln und den Jeans (von Pioneer, weiß die taz).

Thanner fand das sicherlich von Schimmi nie angerührte Handke-Buch „Kurzer Brief zum langen Abschied“ in dessen Bücherschrank – ein Geschenk des Vorgängerkommissars Haferkamp aus Essen. Schimmi wurde in einer Ente von einer Vespa verfolgt. Die Motorradgang, der väterliche Freund Königsberg und der Saarbrückener Kommissar Palu als Retter in höchster Not tauchten in diesem Kriminalmärchen auf.

Dann segelte Schimmi über die atemberaubende Kulisse der Stadt an Rhein und Ruhr. Und als er über der größten Dreckschleuder Duisburgs, der Homberger Sachtleben Chemie schwebt, brüllte er das Losungswort: „Scheiße …“

Das Schlußkapitel der Schimanski-Saga, resümiert das FAZ-Feuilleton, enthüllte sich so doch noch als Entwicklungsroman. „Dieser Roman handelte vom Unbehagen der verwalteten Welt an sich selbst, vom ständigen Kampf mit den korrupten und festgefahrenen Institutionen, vom Aufbegehren gegen Tabus und Triebreduzierung, von spontanen Empfindungen wie Gerechtigkeit, Geilheit, Kinderliebe, wo das Leben sonst nur geplant und vermittelt war. Am Ende dieser Saga stand die alte bürgerliche Einsicht, daß der Mensch eigentlich zur Freiheit geboren ist, daß er aber erst genug gestrebt und gelitten haben muß, um tun zu dürfen, was er will.“

Macho, oder wat?

Geliebt wurde Schimanski vom „gleichermaßen hochwohlgeborenen wie erlesenen deutschen Feuilleton“ (Zeit-Magazin) nicht. Doch auch außerhalb dessen war er nicht unumstritten. Viele hielten ihn schlicht für einen blöden Macho.

Das FAZ-Magazin meinte dagegen, daß Schimmi – genau besehen – alles andere als eine Macho gewesen sei. „Er war ein schüchterner Typ. Vor lauter Emotion heulte er oft drauflos und kriegte in jeder Folge eine ordentliche Tracht Prügel. Aufs Ganze gesehen, war er der einzige Held, den wir noch akzeptieren können: ein Verlierer.“ Und am längsten würde von ihm das hilflose Menscheln und Stammeln in Erinnerung bleiben: „Komm, komm! Du, Mensch, du, das kannste doch nicht machen! Mensch, du.“

Und die Spiegel-Redakteurin Barbara von Jhering stellte schon vor Jahren fest, daß Schimanski in all seinen Widersprüchen und offen zur Schau getragenen Verletzungen auf dem ersten Blick wie die Synthese aus dem gründlich aus der Mode gekommenen Macho alter Art und dem sensiblen Ehemann hinterm Wickeltisch erscheine. „Vom klassischen Macho hat er die Brutalität zurückbehalten und gelegentliche Anflüge von Sentimentalität – aber vor größeren Gefühlsverstrickungen bewahrt ihn seine riesige Bindungsangst.“ Dem anderen Geschlecht gegenüber zeige er sich abwartend und mißtrauisch, Scheu vor Nähe demonstrierend.

Perfekter Werbeträger

Bleibt die Frage, ob wir einer von Werbefachleuten geschickt entworfenen Figur mit all ihren Gegensätzen erlegen sind. Schließlich war Schimanski Vorreiter von unverschämtestem Productplacement im Fernsehen: Paroli-Bonbons, Dortmunder Bier (als ob das irgendwer in Duisburg trinken würde), Marlboro, Citroen – einmal aber auch die gelbe Hand „Mach' meinen Kumpel nicht an“.

Die Frage muß jetzt aber nicht mehr beantwortet werden. Schimmi (oder Götz George) hat entschieden: „Ich hab' einfach kein Bock mehr, ich hab' die Schnauze voll.“ Und die FAZ atmet auf: „Fast zeitgleich mit der Sowjetunion hat uns in Horst Schimanski der letzte proletarische Held verlassen.“

Und jetzt ist zu fürchten, daß mit dem neuen niederrheinischen Tatort – mit dem Düsseldorfer Ermittler Bernd Flemming – ab Mai ein weiterer Polizist in die Riege der Vorstadtvillenkommissare à la Derrick eintreten wird. Daß in der ersten Folge ein Karnevalsprinz eine wichtige Rolle haben spielen soll, läßt Schlimmes ahnen.

aus dem niederrhein magazin 1/92