Knizia siegt doppelt

… und verpasst den Tag seines Lebens

von Harald Schrapers

KELTIS und das Kinderspiel WER WAR’S – das war eine handfeste Überraschung. Zweimal sollte Reiner Knizia ganz oben auf dem Siegertreppchen stehen. War denn dieser Knizia nicht der, um den sich die Legende rankt, er würde nie gewinnen? Dass sich das Schicksal und die Jury gegen ihn verschworen hätten? Dass er eine Art Ballack der Spieleszene sei, der ewig Zweiter bleibt?

Reiner Knizia war zu der im Rahmen einer Pressekonferenz vorgenommenen Preisverleihung erst gar nicht gekommen. Grund war aber nicht, dass er Angst vor einer weiteren Niederlage hatte. Er steckte nämlich auf dem Flughafen von Washington D.C. fest – bei der Rückreise von einer Veranstaltung in Illinois funktionierten die Anschlüsse nicht. So verpasste er den womöglich größten Tag in seinem Autorenleben.

Also mussten die pünktlich aus Deutschland, der Schweiz, Frankreich und Israel angereisten Autoren der unterlegenen Nominierungen alleine feiern. Und die Verlagsgeschäftsführer von Kosmos und Ravensburger durfte die Siegerurkunde und den Holzpöppel entgegen nehmen.

Zweimal Knizia? Jury-Sprecher Stefan Ducksch nahm auf der Pressekonferenz die Fragen vorweg. „Die Jury wählt Spiele“, betonte er, „und nicht Verlage oder Autoren“. Es sei Zufall, dass der in England lebende promovierte Mathematiker gleich zweimal ausgezeichnet werde. „Das Momentum war auf der Seite von Reiner Knizia“, so Ducksch.

Bei der Kinderspiel-Auszeichnung sprach Juror Wieland Herold beinahe euphorisch von fünf erstklassigen Nominierungen, die für einen enorm guten Spielejahrgang sprächen. Bei der Verleihung des Hauptpreises wurde zwar ebenfalls viele gelobt, aber es hörte sich verhaltener an. Hier scheint die Spitze der Spieleneuheiten eher breit denn besonders spitz zu sein. Insgesamt 18 Spiele nannte uns die Jury im Mai, was durchaus eine beträchtliche Breite bedeutet. Kinderspiele sind dabei noch nicht mitgezählt, außer die Kartenspiele KAKERLAKENSALAT und PINGU-PARTY, die uns die Jury mittels der „großen“ Empfehlungsliste nahe legen möchte. Dass sich die Nominierungsliste allein aus Nürnberger Frühjahrsneuerscheinungen speisen wird, zeichnete sich bereits während der Essener Spieltage im Herbst 2007 ab. Denn dort konzentrierten sich die Verlage auffallend stark auf komplexere Spiele. Mit den anspruchsvollen Titeln Im Jahr des Drachen und GALAXY TRUCKER fanden zwei dieser Spiele Eingang in die Empfehlungsliste. Hingegen fehlt mit TRIBUN unverständlicherweise der Gewinner der FAIRPLAY-Scout-Aktion.

AGRICOLA war ein Highlight der Essener Spieltage, das von der Jury als „episches Abenteuer“ besonders gelobt wurde. Die Auszeichnung als „komplexes Spiel“ wurde schon im Mai bekannt gegeben. Jetzt durfte Autor Uwe Rosenberg ebenfalls auf die Bühne kommen, um sich die Holzpöppel-Trophäe und eine Urkunde abzuholen. Ducksch siedelte die Auszeichnung für AGRICOLA sogar „oberhalb“ des Hauptpreises an, wobei klar war, dass er damit eher die Komplexität des Spiels denn die Bedeutung des nach CAYLUS zum zweiten Mal vergebenen Spezialpreises meinte. Vielleicht entlastet es ein wenig das schlechte Gewissen, wenn man letztlich doch die Zugänglichkeit eines Spieles in den Mittelpunkt der Entscheidungsfindung stellt.

Sofern es um das beste Spiel des Jahres 2008 gegangen wäre, gäbe es natürlich auch unter den fünf Nominierungen eine klaren Favoriten: STONE AGE. Bei diesem Spiel des Hans-im-Glück-Chefs Bernd Brunnhofer ist sich die Spielekritik ziemlich einig, dass es ein gutes Spiel ist und auch das Zeug hat, das beste Spiel dieses Jahres zu sein. Doch ist das mit dem „besten“ Spiel natürlich so eine Sache. Wenn ich mein STONE AGE zu meinen gelegentlich mitspielenden Nachbarn mitbringe, zweifele ich spätestens zwei Stunden nach Spielbeginn, ob das wirklich das beste Spiel ist. Zumindest für diesen Spieleabend hätte es ein besseres Spiel gegeben.

KELTIS ist ein anderes Kaliber. Da kann der Spieleabend bereits eine halbe Stunde nach seinem Beginn beendet sein. Stefan Ducksch machte aus dieser Not eine Tugend. KELTIS würde eben dadurch hervorstechen, dass man es nicht nur zeitlich zweimal hintereinander spielen könne, sondern auch wolle.

Jubelstürme löst KELTIS wahrlich nicht aus. Dass es auf dem Zwei-Personen-Spiel LOST CITIES beruht, ist jedoch kein Nachteil. Dies wird die halbe Millionen Käufer, die man jetzt für dieses Spiel erwarten kann, sicherlich nicht stören – ihnen ist LOST CITIES unbekannt. Aber abendfüllende Unterhaltung sieht nun mal anders aus, als mehrmals hintereinander dasselbe Spiel zu spielen.

Ein beobachtender Journalist behauptete sogar, dass mit KELTIS das schlechteste Knizia-Spiel gewonnen habe. Die Jury würde diese überzogene Polemik mit dem wiederholten Hinweis zurückweisen, dass es gar nicht darum gegangen sei, Knizia auszuzeichnen. Sondern einen Jahrgang unter die Lupe zu nehmen.

Zu kurz, zu beliebig, zu wenig taktisch: man könnte einiges gegen KELTIS vorbringen. Außerdem kann es seine abstrakte Herkunft kaum verschleiern – was die Jury als eine „behutsame thematische Einkleidung“ bezeichnete.

KELTIS ist ein gutes Zwischendurch-Spiel und zweifelsohne leicht zugänglich. Es sei „generationenübergreifend“ und auch als Seniorenspiel geeignet, meinte ein anderer Journalistenkollege. Somit sollte dem Verkaufserfolg in Zeiten des Generationswandels und der alternden Gesellschaft nichts im Wege stehen.

Damit wäre die „Gefahr“ abgemildert, dass KELTIS hinsichtlich der Verkaufszahlen vom Kinderspiel des Jahres abgehängt werden könnte. Beim elektronisch unterstützten Spiel WER WAR’S? lockt die für ein Brettspiel beinahe spektakuläre Ausstattung und eine schöne Thematik. Es gibt sogar Erwachsene, die eine Partie WER WAR’S für spannender halten als eine Runde KELTIS – trotz der kooperativen Spielanlage. Zwar könnte man darüber streiten, ob man Kinderspiele unbedingt mit Computerstimmen aufrüsten sollte, doch dem Publikum wird es gefallen.

Neben KELTIS und STONE AGE gab es noch drei andere nominierte Spiele, die ein paar Wochen mit der Hoffnung auf den Hauptpreis leben durften. Und jedes dieser Spiele hatte Befürworter und manchmal auch vehemente Ablehner. Letzteres trifft wohl am ehesten auf SULEIKA zu – weniger wegen der gleichermaßen seltsamen wie überflüssigen Heiratsgeschichte, sondern wegen des recht seichten Spielablaufs, dessen Komplexität eher auf Kinderspiel-Niveau liegt. WIE VERHEXT hatte das gegenteilige Problem. Seine durchaus vorhandene Raffinesse erschließt sich dem Durchschnittsspieler leider nicht so leicht. Damit gingen das Genre Kartenspiel und die Chiemseer Spieleschmiede Alea erneut leer aus. Aber mit der doppelten Knizia-Prämierung hat sich die Jury in diesem Jahr ausreichend um die bislang zu kurz gekommenen gekümmert. Das Kartenspiel und Alea müssen sich weiterhin gedulden.

Bis zum Ende hatten Einige das abstrakte BLOX auf der Rechnung. Bis zu seiner Nominierung hatte die Spielekritik diesen Ravensburger-Titel kaum zur Kenntnis genommen. So stellte man sich die Frage, ob die Jury mit BLOX einen Flop oder einen interessanten Geheimtipp auf die Nominierungsliste gehoben hat. Klären ließ sich das nicht, die Meinungen blieben gespalten. Aber da es die Jury mit der Nominierung offenkundig ernst meinte, erwartete oder befürchtete manch einer einen Außenseiter-Sieg von BLOX.

Vermutlich war die Entscheidung für KELTIS knapp. Aber auch die Jury-Mitglieder kannten bei der Pressekonferenz das Stimmergebnis nicht, denn selbst das Wahlergebnis bleibt bis zur presseöffentlichen Öffnung eines ominösen Briefumschlags geheim. So gucken auch Juroren erstaunt, wenn der spannende Moment der Verkündung des Siegerspiels gekommen ist. 

aus der Fairplay 3/08